Gestern habe ich etwas total Verrücktes getan: Ich habe gefärbte Ostereier gekauft! Klingt nicht verrückt? Für mich war es das. Schließlich gibt es Traditionen in unserer Familie. Und Traditionen sind heilig. Zumindest manche.
Wir haben einmal angeregt zu unserem Familientreffen am ersten Weihnachtsfeiertag, statt der üblichen Rouladen, ein anderes Essen zu kochen. Geht gar nicht. Der Aufschrei der Empörung aus dem Munde der Nachkommenschaft hallt jetzt noch in meinen Ohren nach. Ebenso die Herrencreme zum Nachtisch. Die hat es immer gegeben. Da ist absolut nichts dran zu ändern. Schon der Gedanke ist sträflich. Tradition eben. Eine weitere heilige Weihnachtstradition ist das Fußballspiel am zweiten Feiertag. Diese Tradition gibt es schon seit Generationen und ich kann mich nicht erinnern, dass dieses Fußballspiel schon einmal ausgefallen wäre. Strömender Regen, vereister, brettharter Boden, eine dicke, geschlossene Schneedecke? Lappalien für die niemals das Fußballspiel abgesagt würde. Selbst junge Männer, die das ganze Jahr hartnäckig jeden Sport meiden und niemals freiwillig an einem freien Tag aufstehen würden, wenn ein Wecker klingelt, stehen am zweiten Weihnachtsfeiertag pünktlich auf dem Platz.
Gemeinsames Eierfärben. Als junge Mutter stellte ich mir das ganz wunderbar vor: Die Familie sitzt gemeinsam am Tisch und bei munterem Geplauder werden unzählige, frisch gekochte Eier bunt gefärbt und verziert. In derPraxis sah das etwa so aus: Mama steht in der Küche, kocht die Eier und bereitet das Ostergebäck zu und Papa sitzt mit den Jungs um den Tisch und führt die Eier ihrem Farbbad zu. Karsamstagstradition. Wie schön! Ich bin mir nicht sicher, ob die Dinge sich anders entwickelt hätten, wenn wir 5 Töchter gehabt hätten. Auf jeden Fall endete unsere Karsamstagstradition eigentlich immer so, dass Papa allein am Tisch saß und die Eier einfärbte, weil die Jungs etwas Spannenderes zu tun hatten.
Im letzten Jahr hatte Papa dann auch keine Lust mehr und Mama färbte beim Kuchenbacken auch noch schnell ein paar Ostereier, die schließlich am Sonntag versteckt werden sollten. ( Übrigens eine Familientradition, der auch die erwachsenen Kinder sich nicht entziehen) Daran muss ich wohl gedacht haben, als mir beim Großeinkauf für die Karwoche, ungezählte Pakete mit fröhlich bunten Eiern ins Auge fielen. Nachdenklich stand ich davor und wägte das Für und Wieder ab. Sollte ich wirklich eine immerhin mindestens 20 Jahre währende Tradition über den Haufen werfen und gefärbte Eier kaufen?
Plötzlich stand mir die niederschmetternde Wahrheit ganz deutlich vor Augen: Niemand würde am Karsamstag sagen: “ Wann färben wir denn die Ostereier?“ Diese Frage hatte es vielleicht in den ersten Jahren unseres Lebens als Familie gegeben. Inzwischen entspringt die Hoffnung auf diese Frage nur noch meinem Traum von einer Ostereierfärbetradition. Irgendwie war die Wahrheit dann doch nicht so niederschmetternd, denn mit einem Lächeln auf den Lippen, packte ich entschlossen einige Kartons der bunten Eier in meinen Einkaufswagen. Sogleich fühlte ich mich beschwingt und seltsam befreit. Eine Tradition, der die Beteiligten nur zähneknirschend nachkommen, darf man offensichtlich einfach so über Bord werfen. Hurra!!!!!!!!!!!
Fazit: Traditionen sind toll, wenn wir sie lieben. Die anderen dürfen wir getrost vergessen, denn sie sind Belastung. 😀
Welch befreiende Erkenntnis!
Und mal ganz ehrlich: Ich finde man sieht diesen fröhlich bunten Eiern an, dass sie mit Liebe gekauft wurden! 😉